Mit der Schreibkugel in Nietzsches Welt
Dieter Eberwein restaurierte eine historische Maschine und lässt die Wissenschaft aufhorchen.
Von Sven Kühling.
Schauenburg/Weimar.
„Schreibkugel ist ein Ding gleich mir von Eisen...“ Der Philosoph Friedrich Nietzsche beschrieb 1882 in Gedichtform sein neues Handwerkszeug. Eine Schreibkugel, den Vorläufer der Schreibmaschine.
Dieter Eberwein aus Schauenburg-Elgershausen hat Nietzsches Letternkugel für das Goethe-Schiller-Archiv in Weimar unter hohen Sicherheitsauflagen restauriert. Mehr noch: Eberwein ist tief in Nietzsches schreibmaschinengeschriebene Welt vorgedrungen, hat die Originaltexte chronologisch neu geordnet und mit den Erkenntnissen die Wissenschaft aufhorchen lassen.
Gerade das Schreibmaschinengedicht ist es, das die Wissenschaftler bewegt. Einige Experten kamen zu dem Schluss, ein Baseler Arzt, der Nietzsche in Genua behandelte, habe diesen Vers geschrieben. Andere wiederum ordnen ihn dem Philosophen zu. Der 39-jährige Schauenburger ist sich sicher: „Der Autor des Schreibmaschinengedichtes ist Nietzsche.“
Eberwein untersuchte die originalen Skripte, die der Philosoph auf seiner Schreibkugel des dänischen Erfinders Malling Hansen verfasste. Anhand der Textilmuster, die die Typen durch das Farbband auf das Papier schlugen, habe er die Texte einwandfrei zeitlich zuordnen können, erklärt Eberwein. Je weiter und damit schneller- sich das 3,50 Meter lange Band abrollte, desto weiter lagen die Textilabdrücke auseinander. Ein Zeitmuster auf dem Papier also. So habe er eindeutig die 57 von Nietzsche auf der Maschine verfassten Typoskripte ordnen können, sagt Eberwein. Denn das Farbband lief zur Nietzsche-Zeit nur einmal durch.
Von Februar bis März 1882 übte, schrieb und dichtete der Philosoph mit der Malling-Hansen-Kugel.
Eberwein, der gelernte Feinmechaniker und Diplom-Ökonom aus Elgershausen, entwickelte für seine Forschung eine Formel, mit der er jeden Satz des Philosophen in einem zeitlichen Schema ablegen kann.
Aufmerksam geworden auf die Schreibkugel ist der Nordhesse bei einem Besuch in Weimar. Aufgrund seines Hobbys – Eberwein hat über hundert selbst restaurierte alte Schreibmaschinen zu Hause – entdeckte er Defekte an dem einmaligen Stück. Eberwein bezeichnet die Schreibkugel als „wertvollste Schreibmaschine der Welt“. Erst kürzlich sei eine Malling-Hansen-Schreibkugel, die kein berühmter Philosoph in den Händen hatte, für 135.000 Euro versteigert worden.
Unter den strengen Augen der Archivmitarbeiter in Weimar habe er die ersten Handgriffe vornehmen dürfen, erinnert er sich. Doch das Vertrauen in Eberweins Fähigkeiten wuchs schnell. Um die wertvolle Maschine wieder in Gang zu kriegen, musste sie nach Elgershausen in Eberweins Spezialwerkstatt transportiert werden. In einem feuerfesten und explosionssicheren Safe.
Dieter Eberwein hat seine Erkenntnisse auf 265 Seiten in einem Buch zusammengefasst. Dieses stellte er auf Einladung des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels bei der Frankfurter Buchmesse vor. In diesem sind alle Typoskripte Nietzsches abgebildet. Doch die mathematische Formel Eberweins hat eine Lücke offengelegt. Nicht alle Papiere sind erhalten „Eine halbe Seite Text muss fehlen.“
Nietzsches Schreibkugel, Dieter Eberwein, 265 Seiten, 33 Euro, erschienen im Eigenverlag (Typoskriptverlag Eberwein), ISBN-10: 3-00-015554-6, E-Mail:dieter.eberwein@web.de, www.eberwein-typoskriptverlag.de
Zur Person
Dieter Eberwein (39) hat bei der Kasseler Firma Hertel und Reuss Feinmechaniker gelernt. Er studierte in Kassel Wirtschaftswissenschaften.
Heute arbeitet er im Baunataler VW-Werk als Planer.
Dieter Eberwein lebt in Schauenburg-Elgershausen, er ist verheiratet und hat eine Tochter.
Hintergrund
In Weimar gestorben
Friedrich Nietzsche wurde am 15. Oktober 1844 in Röcken bei Lützen geboren. An 1869 belegte er eine Professur für klassische Philologie in Basel. Seit 1871 hatte er gesundheitliche Probleme. 1879 war er gezwungen, sein Lehramt aufzugeben. Er lebte als freier Philosoph in Venedig, Genua, Rapallo und Nizza. Bedeutende Werke: Also sprach Zarathustra (1883/84, Die fröhliche Wissenschaft (1882). Nietzsche nutzte 1882 als erster Philosoph eine Schreibmaschine. Es war eine Malling-Hansen-Schreibkugel aus Kopenhagen, die erste in Serie hergestellte Schreibmaschine der Welt. 1889 kam es zum geistigen Zusammenbruch des Philosophen. Nietzsche starb am 28.08.1900 in Weimar.