Nietzsches Anschlag

Prof. Dr. Ludger Lüktehaus. Foto: Evelin Frerk

Neue Zürcher Zeitung vom 25.02.2005

Prof. Dr. Ludger Lüktehaus, Freiburg

 

«SCHREIBKUGEL IST EIN DING GLEICH MIR...»: Mit diesem  Anthropomorphismus be­ginnt Nietzsches - inzwischen berühmt geworde­nes - Gedicht auf jener Schreibmaschine, die er im Februar 1882, in Genua weilend, als Geschenk seiner Schwester Elisabeth von seinem Freund Paul Rée mitgebracht bekam. Wie das Gedicht sagt, handelte es sich um eine Schreibkugel, eine Malling-Hansen, aus Kopenhagen, die besonders für blinde Schreiber entwickelt worden war und auch für den halbblinden Nietzsche von Nutzen sein konnte. Die Freude war freilich nur kurz. Das Nietzsche-gleiche «Ding», das die Wahrhaftigkeit eines Igels ausstrahlte, erwies sich nur all­zu bald als reparaturbedürftig, «leicht zu verdrehn zumal auf Reisen»; seine Bedienung «angreifender als irgendwelches Schreiben». «Feine Fingerchen» waren hier gefordert nebst «Geduld und Takt», wie Nietzsche sie offenbar nur be­grenzt hatte.

 

Nach sechs Wochen gab er das Experiment «Schreibmaschine» wieder auf und fuhr fort, so sein Bekenntnis gegenüber dem Freund Over­beck, «wie ein Schwein» zu schreiben. Die Kurz­karriere des «Typewriters» Nietzsche hat eine alerte Medienwissenschaft in der Nachfolge Friedrich Kittlers indessen nicht gehindert, die Textur, richtiger: die Tastatur dieses heraus­ragenden mediengeschichtlichen Moments zu entziffern und mit dem Ende des Subjekts auch das der «Metaphysik der Handschrift» auszu­rufen. Da half es nichts, dass das neue Medium nach Nietzsches eigenen Worten so menschenför­mig, so Nietzsche-gleich war. Immerhin blieben selbst in der ersten vollständigen Faksimile-Edi­tion aller Nietzscheschen Typoskripte gravieren­de Fragen offen, vorab die, ob denn das berühmte Schreibmaschinengedicht Nietzsches auch wirk­lich von ihm getippt, ja überhaupt von ihm war.

 

Licht ins Dunkel der Typen bringt nun ein Buch des Weimarer Restaurators von Nietzsches Schreibmaschine. Er hat nicht nur die Schreib­kugel, sondern auch alle überlieferten Typoskripte untersucht und schreibt nun das Schreib­maschinengedicht zweifelsfrei Nietzsche zu. Spä­testens bei der Untersuchung des überlieferten Farbbandes wird der verblüffte Leser nicht mehr zögern, hier den Fortschritt von der Medientheo­rie zur empirischen Medientechnologiewissen­schaft zu beobachten. Und auch der abgründige Humor der Sache kommt nicht zu kurz. Die Frage «Wie fest war Nietzsches Anschlag?» zeigt den­jenigen, der mit dem Hammer zu philosophieren glaubte; von seiner zartesten Seite: «Relativ schwacher Anschlag, 600 Gramm (6 Newton)», lautet die Diagnose, die unverhofft doch auf «feine Fingerchen» hindeutet - zur nicht unbe­trächtlichen Freude des Rezensenten, der zwar nicht mehr auf einer Schreibkugel aus dem Hause Malling-Hansen, aber einer durchaus museums­fähigen Sancta Monica aus dem Hause Olympia schreibt.

 

Ludger Lütkehaus

 

 

 

Dieter Eberwein: Nietzsches Schreibkugel. Ein Blick auf Nietz­sches Schreibmaschinenzeit durch die Restauration der Schreib­kugel. Typoskript-Verlag, Schauenburg 2005. 267 S., € 33.-.